Menschen | 25. Oktober 2022 | Daniel Adler

Eckart Würzner im Interview

Es ist Herbstanfang. Die Heidelberger Straßen sind mit Laub bedeckt, Nebel wabert entlang des Neckarufers, erste Kastanien regnen vom Himmel. Doch eine Sache stört das gewohnte Bild: Wahlplakate. Unzählige bunte Wahlplakate lächeln uns nun seit einigen Tagen von allen Ecken aus an, denn es ist wieder an der Zeit. Nach acht langen Jahren steht am 6. November wieder die Heidelberger Oberbürgermeisterwahl vor der Tür.

Neun Kandidat:innen habt ihr in diesem Jahr zur Auswahl und mit einigen davon haben wir uns getroffen, um euch exklusiv einen kleinen Blick in ihre Köpfe zu gewähren.

Mit unserem jetzigen Oberbürgermeister Eckart Würzner (Parteilos) treffe ich mich an einem Mittwoch Nachmittag auf einen kleinen Plausch in einem Heidelberger Café. Zwischen Cappuccino und Bananenbrot, welches mir Herr Würzner wärmstens empfiehlt, reden wir über die Energiekrise, Klimafragen, bezahlbaren Wohnraum und das Kaffeekochen beim Camping. Zwischendurch nehmen wir uns aber auch mal Zeit, um einfach aufs Feld zu schauen und die letzten Sonnenstrahlen des Herbstes zu genießen.


Herr Würzner, eine kleine „Aufwärmfrage“ zuallererst. Die kalte Jahreszeit kommt: Lieber Glühwein oder Tee?

Tee. Ich trinke lieber morgens in aller Ruhe einen Tee, wenn ich denn mal Zeit habe, ihn in aller Ruhe zu genießen.


Apropos warme Getränke: Müssen wir wegen der Energiekrise bald kollektiv frieren in Heidelberg?

Nein, wir müssen nirgendwo frieren, denn wir haben eigentlich genügend Ressourcen. Es kommt nur darauf an, wie man sie geschickt einsetzt. Wir wollen uns einfach nicht erpressen lassen von einem russischen Despoten. […] Jeder sollte jedoch jetzt seine Möglichkeiten nutzen, um Energie zu sparen. Aber das macht man ja oft auch schon, denn es ist verdammt teuer geworden.


Um das Stichwort „teuer“ geht es auch in der folgenden Frage: Der Studentenwohnpreisindex zog in Heidelberg dieses Jahr um 11,8% an. (MLP) Wie wollen Sie bezahlbaren Wohnraum schaffen?

Durch ein ganzes Maßnahmenbündel. Ich habe im Deutschen Städtetag kürzlich zusammen mit z.B. Bundeskanzler Olaf Scholz einen 190-Punkte-Katalog zu diesem Thema verabschiedet. Du musst neu bauen, am besten auf Eigentumsflächen, […] aber wir brauchen dafür auch die Unterstützung des Bundes. Komplizierte Baugenehmigungen müssen weg. Wir planen außerdem eine Art Boxberg 2.0. Dieser Stadtteil, der aktuell überaltert, bietet enorme Möglichkeiten. Und wir arbeiten an einer Struktur,[…] um älteren Menschen Sicherheit zu geben, indem wir als Stadt bei der Vermietung als rechtliche Zwischeninstanz auftreten. Damit wird es dann hoffentlich eine größere Bereitschaft geben, leerstehende Wohnung oder Häuser zu vermieten.

Sie wollen auch mehrere Tiny House-Siedlungen in Heidelberg bauen lassen. Diese haben eine Wohnfläche von ca. 8×2,5 Metern. Wer soll dort wohnen dürfen?

Tiny Häuser lösen natürlich unser Wohnproblem nicht, aber ich finde es super als Ergänzungsmodell, denn wir haben durchaus Flächen, die wir nicht gleich bebauen können. Das dauert leider, bis die Infrastruktur und so steht und in dieser Zeit kann man die Fläche ebenso gut nutzen für diese mobilen Tiny Häuser. […] Wir werden auch einen Teil davon selbst bereitstellen und für einen günstigen Preis vermieten.

Die Zielgruppe sind überwiegend junge Menschen. Studierende, Auszubildende,… sie sollen kostengünstig in Heidelberg eine Perspektive bekommen.


Würden Sie selbst in ein solches einziehen?

Sofort, wäre ich noch Student. Ich bin auch leidenschaftlich mit meiner Familie in Holland jedes Jahr auf begrenztem Raum campen. Diese kleineren Häuser haben zwar dünne Wände und man hört auch, wenn jemand die Kaffeemaschine morgens anmacht, aber das reduzierte Wohnen ist trotzdem eine tolle Sache.

Wir haben in Heidelberg die Situation, dass die, die wirklich kein Geld haben, versorgt sind. Die Stadt ermöglicht kostenlose Theaterbesuche, Schwimmbadbesuche, etc. Aber wenn man beispielsweise angehende Ärztin ist, im Klinikum arbeitet und 2.600 Euro im Monat verdient, dann wird’s eng. Dann fliegt man bei uns aus den Sozialleistungen raus. Aber genau diese Gruppe beispielsweise kann durch solche Angebote auch unterstützt werden.


Anhand des 9-Euro-Tickets konnte man sehen, wie dankbar viele Menschen eine finanzielle Entlastung annehmen. Was planen Sie für das Heidelberger ÖPNV-Angebot?

Erstmal ist es wichtig, den ÖPNV auszubauen: Neue Schienen, neue Strecken. Dann muss es günstiger werden. Ich habe mich immer für das kostenlose ÖPNV-Ticket eingesetzt. Der Gemeinderat ist dem nicht ganz gefolgt, nur für jüngere und ältere Menschen mittels des 3-Euro-Tickets. Aber wir müssen auch Normalverdiener zwischen 20 und 60 Jahren drastisch kostenmäßig entlasten. Viele andere Städte haben das schon geschafft und ich möchte auch in Heidelberg diesen Weg weitergehen.

Heidelberg soll laut ihres Wahlprogrammes bis 2030 klimaneutral werden- wie?

Durch einen klaren Aktionsplan, den wir seit 15 Jahren schon umsetzen. Wir müssen noch mehr Partner gewinnen, die in die gleiche Richtung gehen. Der entscheidende Punkt ist: Wie viele Firmen gehen noch mit, wie viele der Landesliegenschaften gehen mit und wie viele der Bürger:innen gehen mit. Und sie müssen wollen, aber auch können, denn es kostet Investitionsmittel. Da müssen wir auf noch größere Finanzmittel zurückgreifen als bisher. Wir bräuchten zum Beispiel etwa 677 Windkraftanlagen. Jetzt schauen Sie sich mal an, wie viele Sie hier sehen.

[Wir schauen uns kollektiv das Feld an und nicken wissend. Keine einzige.]

Das ist noch ein langer Weg. Das sind viele Investitionen und das erfordert auch die Akzeptanz derer, die dann eine Anlage in der Nähe haben. Wir brauchen eine Priorisierung des Klimaschutzes. Das fehlt bisher noch. Meistens reagiert der Mensch erst, wenn er merkt, dass es zu heiß oder zu kalt wird.


Heidelberg hat kaum ein Nachtleben- Gedenken Sie, das zu ändern? Wie möchten Sie die Stadt sonst noch attraktiver für junge Leute machen?

Das Nachtleben ist vor allem durch Corona komplett zum Erliegen gekommen. Wir hatten früher viel mehr Clubs. Die Ausgehkultur hat sich jedoch auch geändert. Für viele lohnt es sich finanziell nicht mehr, geöffnet zu haben. Wir haben gleichzeitig viele eigene Clubs von der Stadt aus unterstützt, zum Beispiel die Halle02 oder den Karlstorbahnhof. Auch das Toniq hat neu eröffnet und die Tangente soll es bald wieder geben.

Im Landfried soll die alte Nachtschicht wieder aufmachen, für Sport unter der Woche und am Wochenende als Feierlocation für junge Menschen, nicht komerziell. Und unser Feierbad-Konzept soll ausgebaut werden. Da wurden jetzt Lärmschutzwände aufgebaut und ich wünsche mir, dass es weiterlebt.

[ Herr Würzner nimmt einen tiefen Schluck Kaffee, sagt, mit abschweifendem Blick auf die Felder der Bahnstadt, man müsse das Leben auch einfach mal genießen. Vor allem, wenn man in so einer schönen Stadt wie Heidelberg lebt. Begleitend zeigt er mir ein schönes Bild von Heidelberg im Nebel, das er am Vortag geschossen hat. ]

Nächste Frage: Sie planen einen Tunnel, der den Neckar und die Altstadt verbindet. Ist das nicht sehr kostenintensiv?

Andere Frage: Macht mir einen Vorschlag, wie man die Altstadt aufwerten kann und sie von einer Bundesstraße befreien kann, die sie mit Tausenden von Autos völlig unattraktiv macht. Wir haben einen Vorschlag gefunden, der nicht super optimal, aber denkbar ist. Wir wollen zwischen dem Bismarckplatz und der Alten Brücke auf einer Länge von ca. 800m die Straße tiefer legen. Kostet Geld, wird aber die Lebensqualität in Heidelberg steigern.

Herr Würzner, Sie sind nun schon seit 16 Jahren Oberbürgermeister von Heidelberg. Sind Sie Ihres Amtes nicht langsam müde?

Nein, überhaupt nicht. Ehrlich gesagt macht mir das unglaublich Spaß. Ich glaube ich habe jetzt auch ganz andere Möglichkeiten als zu Beginn meiner Amtszeit. Ich kann nur sagen: Ich mache das mit Leidenschaft und für mich ist das wunderschön.


Eine Augenzwinker-Frage: Als Oberbürgermeister:in fällt man in Heidelberg in die Besoldungsgruppe B9, d.h. 12.135,89 Euro pro Monat. Ist das eine Motivation, das Amt auszuüben?

Ich glaube nicht. (Lacht) Wenn man weiß, was damit alles verbunden ist…Man ist ja verantwortlich für fast 4.000 Menschen, die bei der Stadt direkt beschäftigt sind und für eine Riesenstadt. So ein Amt kannst du nicht ausfüllen, wenn es dir ums Geld geht. Ich habe vier Kinder, ich liebe meine Familie, ich liebe die Stadt. Ich habe mich immer für meine Familie eingesetzt und so setze ich mich auch für Heidelberg ein. Weil ich will, dass es allen gut geht.


Das klingt doch gut. Bei der letzten Wahl (2014) gab es eine Wahlbeteiligung von nur 21,8%. Warum ist die Kommunalpolitik für viele so unattraktiv?

Ich glaube beim letzten Mal war so eine geringe Wahlbeteiligung, weil alle gesagt haben „Eckart, du bist so bekannt, beliebt, wie auch immer– wir wählen dich“ […].Diesmal haben die Anderen größere parteipolitische Interessen und wollen sich zeigen.


Letzte Frage: Wenn Sie drei Wünsche für Heidelberg frei hätten, was würden Sie sich wünschen?

Der erste und wichtigste Wunsch für mich ist, dass wir weiterhin dieses friedliche, soziale Miteinander leben können. Das ist für mich ein ganz hohes Gut.

Das Zweite ist, dass wir in den großen Herausforderungen, gerade auch in den globalen Themen, wirklich verantwortungsbewusst leben. […] Da hoffe ich auf eine große Akzeptanz von allen. Das geht nur mit den Bürger:innen und nicht gegen sie.

Der dritte Wunsch ist, dass wir unsere Möglichkeiten, einen wichtigen Beitrag zu leisten, auch auf globaler Ebene nutzen. Ich habe z.B. mit Energy Cities zusammen ein internationales Netzwerk aufgebaut –sowas wie Fridays for Future, nur für Bürgermeister:innen – in welchem über eintausend Städte sich engagieren, um klimaneutral zu werden. Ich glaube, dass gerade eine Wissenschaftsstadt wie Heidelberg, die das Wissen und das Geld hat, sich mehr einsetzen muss.

Neue Techniken, z.B. die Solarzellen, die in der Region entwickelt werden, müssen mehr gefördert werden, um dann auch einen wirtschaftlichen Mehrwert erzielen und schneller in die Produktion gehen zu können. Wir sollten uns nicht alles aus der Hand nehmen lassen, sondern selbst in die Entwicklung gehen. Wir sind eine super Region- lasst uns da mehr daraus machen!


Sehr schöne abschließende Worte! Vielen Dank für das Interview, Herr Würzner!

von Daniel Adler

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