Menschen | 03. November 2022 | Daniel Adler
Sofia Leser im Interview
Die 27-jährige Sofia Leser ist mit ihrem jungen Alter, ihren grünen Haaren und ihrer offenen Art eine ungewöhnliche Erscheinung im Kreise der Heidelberger Politiker:innen. Aber macht sie genau das vielleicht zu einer guten Wahl für den Posten der Heidelberger Oberbürgermeisterin? Um das herauszufinden, habe ich mich mit Sofia getroffen und ihr einige Fragen zu ihrem Wahlprogramm gestellt. In unserem teils emotionalen Interview hat sie mir einiges über das DJane-Dasein, leerstehende Wohnungen, Liebe und ihre Vision Heidelbergs verraten.
Eine „Aufwärmfrage“ zu allererst. Die kalte Jahreszeit kommt: Lieber Glühwein oder Tee?
Tee.
Du bist Studentin, DJane, Unternehmerin und kulturell und sozial engagiert. Bringst du den Job als Bürgermeisterin da noch irgendwo unter?
Sollte ich gewinnen, würde ich einige Positionen, z.B. die Geschäftsführung des Keramikofens abgeben müssen, um immer präsent sein zu, vertreten zu können und zuhören zu können. Auflegen würde ich aber trotzdem noch. Manche gehen joggen- für mich ist das Auflegen meine Therapie. Sich für soziale und ökologische Gerechtigkeit einzusetzen, hat aber nie eine Pause.
Wie kommt man vom Mischpult zur Kommunalpolitik? Hast du politische Vorerfahrung?
Das ist eine gute Frage. Vor drei Jahren habe ich das Zena-Kollektiv mitbegründet, wo wir auch Bildungsarbeit leisten, indem wir auf Ungerechtigkeiten in der DJ-Szene und der Gesellschaft aufmerksam machen– zum Beispiel, dass Frauen oft diskriminiert und sexualisiert werden.
Ich war aber auch in der Schulzeit schon politisch aktiv, da ich mich schon immer gerne für andere eingesetzt habe. Ich habe in meinem Leben schon sehr viele Erfahrungen mit Diskrimierungen und Ausgrenzung machen müssen, bin aber zum Glück sehr resilient. Ich kann mit Menschen, die Ähnliches erfahren, empathisieren und sympathisieren und sehe es daher als meine Aufgabe, mich für sie einzusetzen. Das geht besonders mithilfe der Politik. […]
Du sagst, du willst „ALLE bürgerlichen Interessen hören“. Werden nicht immer die größten Gruppen am lautesten zu hören sein? Und wäre es noch Demokratie, wenn kleine Gruppen überrepräsentiert werden?
Ich empfinde es so, dass momentan kleinere Gruppen schon überrepräsentiert werden. Die Interessen von Gruppen, die finanziell gut gestellt sind, werden in Heidelberg meiner Meinung nach am meisten vertreten. Wir müssen aber den gemeinsamen Nenner von allen Gruppierungen finden.
Ich denke auch, dass sich jeder ein friedvolles Leben wünscht, in dem man sich keine Gedanken machen muss, wie man sich sein Leben finanziert. Jeder möchte Zeit mit der Familie. Jeder möchte gesund sein. Das schaffen wir nur, wenn wir eine soziale und ökologische Gerechtigkeit schaffen.
Du sprichst in deinem Wahlprogramm von einer „direkten Demokratie“, das heißt einer unmittelbaren Herrschaft des Volkes in Heidelberg. Wie genau stellst du dir das vor?
Auf kommunaler Ebene finde ich die Mitbestimmung und Teilhabe aller sehr wichtig. Wir müssen aufgeklärt werden, welche Entscheidungen getroffen werden. Ausschusssitzungen müssen öffentlich abgehalten werden. Wir müssen einfachen Zugang zu Informationen betreffend der Kommunalpolitik haben. Wir müssen eingeladen werden, uns zu versammeln und über wichtige Themen zu sprechen.
Also mehr Bürger:innenentscheide?
Mehr Bürger:innenentscheide, mehr Diskurse, mehr Dialoge, mehr politische Aufklärung. Ein Problem ist meiner Meinung nach auch, dass wenige nur die Zeit haben, sich über politische Themen zu informieren, da man schon durch seinen Arbeitsalltag total ausgelaugt und ausgelastet ist. Ein Gedanke, den ich deshalb sehr sinnvoll finde, ist das bedingungslose Grundeinkommen. Wenn das Überleben gesichert ist, hat man auch wieder Raum und Zeit für andere Themen. Das muss jedoch auf Bundesebene umgesetzt werden. […]
Der Studentenwohnpreisindex zog in Heidelberg dieses Jahr um 11,8% an (MLP). Wie willst du bezahlbaren Wohnraum schaffen?
Das ist eine Sache, die ich gerne in den nächsten zwei Jahren umgesetzt sehen würde. Ein Problem ist, dass viele Politiker:innen in Heidelberg sagen, es gäbe keinen Wohnraum. Das stimmt nicht. Es gibt sehr viele leerstehende Gebäude; meist sind das Privathäuser. […] Wenn ein Gebäude längere Zeit leer steht, muss an die Stadt eine Strafe gezahlt werden. Dieses Gesetz wird in Heidelberg jedoch nicht verfolgt, da es kein Leerstandskataster gibt. Das muss sich ändern.
Außerdem müssen Wohnungen schneller saniert werden, beispielsweise die im Patrick-Henry-Village. Auch sollte mehr kommunal und genossenschaftlich vermietet werden. Die Wohnungen in Heidelberg sollten nicht nur als Geldanlage für Großverdiener herhalten.
Heidelberg hat kaum ein Nachtleben– Gedenkst du, das zu ändern? Wie möchtest du die Stadt sonst noch attraktiver für junge Leute gestalten?
Als DJane ist mir das bewusst (lacht). Kleinere Künstler:innen können sich das Ausleben ihrer Passion kaum leisten. Wir brauchen mehr Zentren für Kultur, wie beispielsweise den Karlstorbahnhof. Viele leerstehende Gebäude müssen für sowas als Zwischenlösung genutzt werden.
In deinem Wahlprogramm schreibst du: „Echt grün- nicht ideologisch #Klimawende.ohne.Plan.“, „Echt links- nicht im Kreis gelaufen #Dauerstreit.“, „Echt sozial- nicht heuchlerisch #Hartz4 #Bürgergeld“ und „Echt für alle- nicht fürs Ego #Würzner #16Jahre.“ Denkst du, dass du bessere Arbeit als deine Konkurrenz leisten wirst?
Ja! (Lacht). Weil ich nicht auf meine parteipolitischen Interessen eingehen muss.
Mir geht es darum, dass wir alle gemeinsam Heidelberg lenken. Ich moderiere es nur.
Wenn du drei Wünsche für Heidelberg frei hättest, was würdest du dir wünschen?
Das ist schwer (lacht). Ich wünsche mir auf jeden Fall ökologische und soziale Gerechtigkeit für Heidelberg. Ich wünsche mir, dass wir eine „Fehlerkultur“ lernen. Wir sind nicht perfekt, wir machen Fehler und das ist auch in Ordnung. Man muss dadurch wachsen.
Ich wünsche mir auch viel mehr „Miteinander“. Wir vergessen oft, dass wir soziale Wesen sind und eigentlich nicht ohne einander können. Das klingt vielleicht naiv, aber ich wünsche mir mehr Liebe. Sich gegenseitig zu helfen und da zu sein kann viele Probleme lösen.
Das klingt toll! Vielen Dank für das Interview, Sofia!
(Anmerkung: Da Sofia mir und euch auf Augenhöhe begegnen möchte, wird sie im Interview geduzt.)
von Daniel Adler